»Ökologie, Handwerk, Erfindung«
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Anbietendes Unternehmen
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Das Atelier Schmidt in Trun im Schweizer Kanton Graubünden baut seit langem Häuser aus Stroh. Herr Schmidt – wie kamen Sie zum Stroh?
Werner Schmidt:
Das ist lange her, schon in meinem Studium an der Hochschule für Angewandte Kunst in Wien, Meisterklasse Prof. H. Hollein, habe ich mich für nachhaltiges ökologisches Bauen interessiert. Die Ursprungsidee war allerdings weniger das Bauen mit ökologischen Materialien, sondern die Suche nach dem richtigen Prinzip. Der Schweizer Militärdienst bei der Gebirgstruppe, wo man mitunter wochenweise auf 3.000 Höhenmetern im Schnee übernachtete, zeigte mir, dass die Kälte, wenn man sein Iglu richtig baut und einen guten, isolierenden Schlafsack hat, nicht das Problem ist. Der Gedanke an die Übertragbarkeit dieser Grundvoraussetzungen vom Kleinen in ein ganzes Haus hat mich fasziniert. So wurden daraus die ersten Experimente mit verschiedenen Dämmmaterialien von Steinwolle bis Styropor in einer Ecke im Werkhof von meinem Vater, der Baumeister war. Aus verschiedenen Umbauten für eine Benediktinerabtei in Disentis und deren historischen Bautraditionen kamen Versuche mit einer Mischung Sägemehl und Kalk hinzu. Ich habe viele Passivhäuser gebaut, bis ich über ein Buchgeschenk eines Freundes auf das Material Stroh kam. Die Faszination für das Material und die Bauweise war geweckt und nachdem ich bestimmt 30 Strohballenbauten angesehen habe, war ich bereit für das erste Gebäude. Zu Beginn wurde für jeden Bauherren eine konventionelle Variante und eine aus Stroh entworfen, doch erst im Jahr hatte ein Bauherr den Mut und wir haben 2001 ein Einfamilienhaus in Disentis auf 1.300 Metern ü. NN realisiert. Die Besonderheit lag in der Verwendung von sogenannten Jumbo-Strohballen mit den Abmessungen 2,40 Meter Länge, 1,25 Meter Breite und 0,70 Meter Höhe, bei einem Gewicht von 320 Kilogramm. Diese Wandstärke war nötig, um die erforderlichen Schneelasten abtragen zu können – der Nebeneffekt: die dicken Wände sind ein ausgezeichnetes Dämmmaterial.
Innovationsschaufenster:
Seitdem ist viel passiert, oder?
Werner Schmidt:
Ja, die Projektgrößen haben sich verändert. Der nächste größere Schritt war die Realisierung einer kleinen, autonomen Feriensiedlung in Lana (IT). Situiert südlich der bestehenden Hofgebäude entstanden vier nebeneinander liegende Einheiten in abgerundeter V-Form. Formal bilden sich somit zwei verschiedene Fassaden aus. In Richtung Süden öffnen sich die Wohnungen zur Landschaft und zur Sonne. Es entsteht eine lineare, moderne Fassade, deren Seitenwände sind hier weiter hinausgezogen, um den Gästen einen abgetrennten Freibereich zu ermöglichen. In Richtung Norden bilden die kompakten Strohwände eine geschlossene, wellenförmige Fassade aus. Von hier aus hat jede Einheit ihren geschützten Zugang.
Das bislang größte Projekt ist die erste Strohballensiedlung der Schweiz, die Überbauung Bombasei-Areal in Nänikon mit 28 Wohneinheiten. Der Gesamtenergiebedarf für die Erstellung, den Betrieb und die Entsorgung der Häuser wird mithilfe natürlicher Baumaterialien wie Stroh, Holz, Lehm und Kalk auf ein Minimum gesenkt. Die 75 cm dicke Strohhülle (U-Wert 0.07 W/m₂K) umgibt die Wohnungen wie ein wärmender Mantel und garantiert künftig geringe Heizkosten bei konstant gutem Wohnklima. Für die gesamte Überbauung wurden 420 Tonnen Stroh verbaut. Da Stroh eine negative CO₂ Bilanz aufweist (1.34kg/kg) konnten allein in der Dämmung 560t CO₂ eingelagert werden. Der außergewöhnlich hohe Dämmwert des Wandaufbaus erlaubt es den Bewohnern trotz Verzicht auf eine Komfortlüftung den Heizenergiebedarf gering zu halten. Die vorgefertigten geschosshohen Raummodule und Wandelemente wurden mitten im Winter in einer Industriehalle ausgebaut und verputzt. Mithilfe dieses hohen Vorfertigungsgrads konnte die gesamte Bauzeit auf 16 Monate reduziert werden. Das Projekt zeigt, dass Bauen mit nachhaltigen Materialien auch für Investoren und Projektentwickler interessant sein kann. Aktuell planen wir ein Mehrfamilienhaus im Engadin.
Innovationsschaufenster:
In Ihren Projekten kann man sehen, dass Sie keine Berührungsängste haben. Es geht nicht um eine dogmatische Verwendung von Material, sondern?
Werner Schmidt:
Wir sind ein Architekturbüro für nachhaltiges, autarkes und ökologisches Bauen. Spezialisiert auf unkonventionelle Lösungen und Bauweisen. Unser Argument für nachhaltiges Bauen sind immer die drei Faktoren Herstellungsenergie, Betriebsenergie und Lebensdauer. Im Detail bedeutet dies, dass wir möglichst ökologisch bauen, dann im Betrieb wenig Energie verbrauchen – also möglichst auf mechanische Lösungen verzichten – und ein ästhetisches Gebäude errichten wollen, das durch seine Anpassungsfähigkeit eine sehr lange Lebensdauer hat. Das bedeutet aber auch die Materialien und Produkte dort einzusetzen, wo sie im Kontext am ökonomischsten und ökologischsten sind. Auch Stroh ist nur ein Mittel zum Zweck, aber es ermöglicht uns, die Herstellungs- und Betriebsenergie signifikant zu reduzieren.
Innovationsschaufenster:
Was geben Sie denen als Ratschlag mit auf den Weg, die sich für Bauen mit Stroh interessieren?
Werner Schmidt:
Wer heute baut, sollte sich überlegen, was für ein Haus in 20 Jahren wertvoll sein wird. Ich bin überzeugt, dass ein ökologisch nachhaltiges Gebäude mit einem geringen Energieverbrauch und gesunden, natürlichen Materialien wertvoller und gesünder sein wird als die hochtechnisierten Modelle. Ein Haus soll 50, 80, 100 Jahre stehen, daher muss ich mir heute schon überlegen, was in 20-30 Jahren passiert, wenn die nächste Generation das Haus übernimmt und wie flexibel ein Haus für verschiedene Nutzungen sein muss. Schlussendlich sollten wir Häuser bauen, die örtlich verwurzelt sind und viele Nutzungen erlauben, damit die Lebensdauer möglichst lang ist. Bisher ist zum Glück keines unserer Gebäude abgerissen worden – unser Ziel ist, dass ein Haus wenn möglich mehrere hundert Jahre stehen kann. Denn dann ist es nachhaltig. Sonst nicht.
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Ort
Via Fabrica 17
7166 Trun
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Kontakt
Atelier Schmidt, Trun, Graubünden (CH) -
Datum
Angebot vom 1. Juli 2024, 13:42 Uhr